Regionalität an sich ist wertlos. Culinary Art 2015

Regionalität an sich ist wertlos. Culinary Art 2015

Zwei genussvolle und vor allem spannende Tage verbrachte ich im März beim Culinary Art Kongress in Salzburg (mehr zum Kongress hier).  Am ersten Tag habe ich mich nach den Opening Keynote von Claus Mayer (Co-Founder NOMA Kopenhagen) und der anschließenden hochkarätigen Diskussionsrunde “Kann sich Österreich mit seiner Küche international positionieren?” für den Themenkomplex Regionalität entschieden, der in 2 kleineren Gesprächsrunden der Stiegl Brauwelt behandelt wurde, moderiert von Ö1-Grande Michael Kerbler. Besonders spannend fand ich den ersten Talk, bei dem das Spannungsfeld zwischen Internationalität und Regionalität deutlich wurde.

Regionalität vs. kreative Entfaltung?

Ist Regionalität wirklich ein Fortschritt? Aufmerksame Leser meines Blogs werden wissen, dass auch für mich die regionale Herkunft meiner Lebensmittel eine große Rolle spielt, ich dabei aber sehr wohl weiß, dass regional nicht automatisch “besser”, “nachhaltig”, “ethisch korrekt” oder gar mit “bio” vergleichbar ist. Dennoch heften sich Gastronomen wie Produzenten die Regionalität fast schon inflationär auf die Fahnen, quasi das aktuelle “must-have” auf den Speisekarten. Dass das die, die am Herd stehen, gar nicht so wichtig finden, wurde mir in diesem Talk zum ersten Mal wirklich klar und genau deshalb fand ich die Diskussion so spannend.
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v.l.n.r: Moderator Michael Kerbler, Roland Trettl, Barbara van Melle, Dominik Flammer

Das Grundproblem mit der Regionalität

Wenn man sich mit Regionalität beschäftigt, wird schnell klar, dass der Begriff an sich schlichtweg wertlos ist. Selbst Bodenhaltungseier können als regionale Produkte bezeichnet werden, denn Regionalität an sich sagt nun mal überhaupt nichts über Produktionsbedingungen oder Qualität der Produkte aus. Nicht mal der oft zitierte ökologische Fußabdruck liegt auf der Hand, weil für manche Produkte Glashäuser in Österreich ressourcenintensiver sein können, als Importware. “Regionalität” wird von jedem anders interpretiert – kein Wunder also, dass sie schnell als Marketing-Schlagwort herhalten musste. Anders als bei “bio” gibt es keine festgelegten Bestimmungen oder Richtlinien, “Regionalität” lässt reichlich Spielraum zur Eigeninterpretation offen. Zwischen kompromissloser Regionalität wie bei Josef Floh in Langenlebarn und dem allgegenwärtigen Schlagwort Regionalität liegen Welten.
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Foto: Culinary Art/Markus Knoblechner

Die Frage, was Regionalität überhaupt ist, konnte, wie zu erwarten war, auch an diesem Nachmittag nicht geklärt werden. Roland Trettl etwa sieht Regionalität nicht als Frage der Kilometer, sondern der Transparenz. Der Bezug zum Produzent schafft Vertrauen. Barbara van Melle gab zu bedenken, dass nirgendwo so viel gelogen würde, wie in der Gastronomie, wenn es um Regionalität geht. Sie sieht hier vor allem das Problem, dass viele Konsumenten mit durchschnittlichem Wissensstand gar nicht in der Lage sind, die Glaubwürdigkeit “regionaler Speisekarten” zu beurteilen und Lügen kaum auffallen. Ziegenkäse (der erst ab dem Frühjahr Saison hat, nachdem die Lämmer geboren wurden) wird etwa häufig bereits als regionale Spezialität ausgelobt, wenn es diesen noch gar nicht geben kann.

 

“WENN ICH DANN EIN PELLEGRINO SERVIERT BEKOMM’, DA KÖNNT ICH KOTZEN”

Pellegrino
Foto: Culinary Art/Andreas Kolarik

Roland Trettl, von dem dieses Zitat stammt, hat selbst im Hangar7 bekanntlich den Fokus auf Internationalität gelegt. Er bekundet großen Respekt vor Gastronomen, die Regionalität kreativ und kompromisslos umsetzen, oft entpuppen sich selbsternannte Regionalitäts-Gutmenschen aber als reine Mitläufer. Als Paradebeispiel für ein glaubwürdiges Konzept nennt Trettl Josef Floh, der in Langenlebarn erfolgreich seine Gastwirtschaft führt. Fast alles, was man dort so findet, stammt von Produzenten aus einem Umkreis von 66 km um Langenlebarn, zu denen der Gastronom über Jahre hinweg Beziehungen pflegt. So eine Produzentenbeziehung muss wachsen und erfordert viel Zeit und gegenseitige Wertschätzung. Floh befragt beispielsweise Zeitzeugen, um sich überlieferte Techniken zum Einlagern für den eher kargen Winter zu Nutze zu machen (den er übrigens nur “vermeintlich karg” findet).  Dass die Rahmenbedingungen für ihn im fruchtbaren Niederösterreich andere sind als für Shootingstar Benjamin Parth vom YSCLA Stüva im Tiroler Paznaun, liegt auf der Hand.

Produktperfektionismus und Regionalität als Widerspruch

Mittlerweile sind so viele Gastronomen auf den Regionalitäts-Zug aufgesprungen, dass man glauben könnte, es gehöre zum guten Ton. Die Diskussion zeigte aber, dass es für viele Spitzengastronomen wichtigeres gibt und das, was man in den Medien an aktuellen Trends so aufgetischt bekommt oft nicht der Realität in den Küchen entspricht. Benjamin Parth, jüngster Haubenkoch Österreichs (26 Jahre, 3 Hauben, 3 Gabeln, 5 Sterne) will sich von der allgegenwärtigen Doktrin der Regionalität in seiner Kreativität nicht einschränken lassen und macht auch keinen Hehl daraus.

Benjamin Parth, einer der jüngsten 3-Haubenköche Europas (YSCLA Stüva). Foto: pro.media/Jochum
Benjamin Parth, YSCLA Stüva,  einer der jüngsten 3-Haubenköche Europas Foto: pro.media/Jochum

Das war für mich eine der spannendsten Perspektiven auf das Thema, weil das junge Ausnahmetalent so ehrlich und gleichgültig gegenüber (vermeintlichen) Trends argumentierte. Exotische Fische und Früchte finden sich genauso auf seiner Karte wie österreichische Lebensmittel. Als die New Nordic Cuisine des NOMA zum internationalen Erfolg wurde, habe er sich gedacht “jetzt muss i a rundherum Kräutln pflücken gehen”. Aber wenn er die japanische Yuzu-Frucht für seine Küche entdeckt und spannend findet, so Parth, warum sollte er sie nicht benutzen? Auch beim Fleisch steht für ihn die Entfernung zur Quelle nicht an oberster Stelle, sondern die Qualität. Er bezeichnet sich selbst als Produktperfektionist und gibt Einblicke, wie schwierig es für ihn als Koch in den Tiroler Bergen ist, etwa bei Fleisch ein konstantes Qualitätsniveau zu halten. Die Bauern in der Umgebung können ihn nicht ausreichend beliefern, schon gar nicht, wenn er besondere Spezialitäten wie etwa Euter benötigt. Er vertraut im Zweifelsfall lieber auf Fleisch aus Frankreich, dessen Qualität ihn überzeugt und konstantes Top-Niveau 7 Tage die Woche  für ein Restaurant mit 100 Sitzplätzen ermöglicht – 7 Tage die Woche. Spannend wäre hier wohl noch, inwiefern der Preis eine Rolle spielt, ein Aspekt, der leider nicht zur Sprache kam. Mein Gefühl sagt mir, dass dieser in diesem Fall – anders als etwa beim Privatkonsument – nicht der Grund für den Bezug von ausländischem Fleisch ist. Die Regionalität wird in Parths Augen jedenfalls überstrapaziert. Obwohl ich nach wie vor regionale Bezugsquellen klar bevorzuge (für den Eigenbedarf, der eben ein ganz anderes Thema ist als die Gastronomie), kann ich Parths Aussagen durchaus nachvollziehen und sie beeindrucken mich sogar, weil es ihm völlig wurscht ist, ob das Publikum und der “Regionalität” blökende Medienmob seine Einstellung super findet oder nicht.

 Als Gast (gerade als einer, der selbst viel und oft kocht) wünsche ich mir in der (Spitzen-)Gastronomie natürlich auch besondere Lebensmittel und Kreationen, die ich bisher nicht kannte und im Alltag nicht bekomme. Dass diese nicht zwangsläufig exotisch sein müssen, beweisen Gastronomen wie Heinz Reitbauer im Steirereck seit Jahren. Restaurants, die es schaffen, für regionale Küche zu begeistern, haben größten Respekt verdient. Die spannenden Produkte fliegen einem natürlich nicht zu, neben Kreativität ist auch viel Nachforschen und Suchen gefragt, weil es vielen spannenden heimischen Produzenten einfach an Marketingkonzepten fehlt. Wie groß die logistische Herausforderung für die Gastronomie dabei ist, weiß ich u.a. von Stefan Resch (The Bank, Park Hyatt Vienna). Die ungebrochene Begeisterung der Gäste und Restaurantkritiker für Gerichte mit Hummer, Jakobsmuschel (die auch ich selten aber doch genüsslich verspeise) & Co zeigt klar, dass die “Regionalität” eben vielleicht doch nicht so allgegenwärtig ist.
Ich habe Culinary Art als sehr bereichernd empfunden, es war wirklich aufschlussreich, wie Spitzengastronomen ihre eigene Rolle und die kulinarische Zukunft Österreichs sehen. Das Veranstaltungsformat war dazu wirklich super, die meisten Programmpunkte fanden in sehr kleinen Runden statt und lieferten eine feine Mischung aus Theorie und Praxis. Einblicke, die für mich nicht alltäglich sind – wo trifft man schon die kulinarische Crème de la crème so komprimiert und so unmittelbar? Ich hoffe, Culinary Art geht in die nächste und viele weitere Runden – nicht nur, weil sie tolle Erlebnisse geschaffen hat, sondern auch quasi aus dem Stand eine wertvolle Plattform für die österreichische Kulinarik. Vielen Dank für die tollen Gespräche und Eindrücke und ein großes Lob an alle, die dazu beigetragen haben.
Auch Claudia hat hier ihre Eindrücke von der Culinary Art 2015 festgehalten.
 Sarah hat hier die Diskussion über die Elemente eines gelungenen Restaurants zusammengefasst.
Titelbild: Culinary Art/Verena Schierl
 
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