Wenn ihr noch keine Sprossen züchtet: Jetzt ist der ideale Zeitpunkt

Wenn ihr noch keine Sprossen züchtet: Jetzt ist der ideale Zeitpunkt

Noch vor wenigen Jahren konnte ich mir nicht vorstellen, mich (weitgehend) ohne importiertes Gemüse durch den Winter zu kochen. Heute habe ich viel dazugelernt, neue Erfahrungen gesammelt und verstehe ich nicht mehr, warum ich Paradeiser, Zucchini, Gurken etc. jemals im Winter gekauft habe. Nichts spricht dafür und vieles dagegen, aber darum geht’s hier gar nicht. Es ist Ende Jänner und ich gebe zu, ich freu mich schon auf den Frühling, wenn es wieder mehr frisches, heimisches Gemüse gibt.  Einstweilen retten mich neben köstlichem Wintergemüse auch Gläser über die kargen, kalten Monate. Das herrlich aromatische Tomatenconfit aus den hochsommerlichen Raritätenparadeisern, die in Verjus eingelegten Zucchini, der fermentierte Kürbis. Aber selbst, wenn man in den Erntemonaten nicht vorgesorgt hat, kann im Winter auf Gläser zurückgreifen: Sprossengläser – die wohl günstigste und einfachste Selbstversorgungsmaßnahme. Damit kommt wirklich Abwechslung in die Winterküche, ganz ohne Importware, die eh nicht wirklich schmeckt. Gerade im Winter, wenn die Auswahl an heimischem Frischgemüse eingeschränkt ist – gegen Ende Jänner wirds selbst für kreative Köchinnen schon ein biiiisserl zach – bin ich dankbar für die Vielfalt, die man sich mit Sprossen ganz einfach selbst züchten kann: ohne Erde, ohne Garten, ohne viel Aufwand. Man braucht wirklich keinen grünen Daumen, um tolle Ernte einzufahren, den hab ich nämlich auch nicht. Ich schreibe diesen Beitrag, weil es trotzdem so wenige Menschen machen und hoffe, ihr habt Freude daran, Sprossen selbst auszuprobieren.

Wir alle haben vermutlich als Kinder mit Kresse experimentiert und begeistert beobachtet, wie innerhalb weniger Tage das herrliche Grün auf einem Wattebausch gedeiht. Weiter sind aber die wenigsten von uns gekommen. Warum eigentlich? OK, die Rohköstler-Community propagiert das Sprossenziehen, vor allem wegen der gesundheitlichen Vorteile. Vielleicht sind Sprossen auch deshalb nicht so cool, wie sie es verdient hätten. Ich finde sie kulinarisch wirklich spannend. Manche scharf (Kresse, Radieschen, Rucola), manche leicht bitter (Bockshornklee), manche süßlich (Mungbohnen). Selbst Sprossen zu ziehen ist nicht nur einfach und günstig, es ist kulinarisch äußerst bereichernd. Ich liebe es, Salate, Pfannengerichte oder Aufstriche damit aufzupeppen. Sprossen passen eigentlich fast überall, kalt und warm, und bringen Abwechslung in verschiedenste Gerichte. Probiert es unbedingt mal selbst aus.

 

Was brauche ich zum Sprossen ziehen?

Die gute Nachricht: Nicht viel! Man kann sich ein hübsches Sprossenglas oder gar eins der größeren Behältnisse kaufen, das muss aber gar nicht sein. Auch das ist ein Grund, warum ich Sprossenziehen so toll finde. Man braucht gar kein extra Gerät dafür kaufen, jeder kann es ganz einfach ausprobieren. Und das solltet ihr auch. Sprossengläser findet ihr in Bio-Läden oder online. Es gibt außerdem mehrstöckige Keimvorrichtungen, das lohnt sich aber in meinen Augen nur, wenn man sehr große Mengen braucht. Ich bin recht vorsichtig was den Kauf von neuen Sachen betrifft, darum hab ich erst mal improvisiert und war so zufrieden damit, dass ich mir länger kein extra Sprossenglas gekauft habe. Ich verwende bis heute einfach Einmachgläser oder gut gereinigte ehemalige Gurkengläser, ein Sprossenglas hab ich mittlerweile auch in Verwendung, der Deckel passt auf handelsübliche Schraubgläser und so verwende ich ihn mehrfach.

Sprossengläser haben einen Siebdeckel, durch den Wasser abfließen kann. Bild: Eschenfelder

Sprossen ziehen ohne eigenes Sprossenglas:

  • Einige kleine Löcher in den herkömmlichen Metalldeckel z.B. eines Gurkenglases bohren – Nachteil: der Deckel wird leicht rostig.
  • Ein Netz z.B. von einem Fliegengitter  oder Wäschesackerl zuschneiden und mit einem Gummiringerl über die Glasöffnung spannen, der Stoff sollte möglichst sauber gehalten werden.
  • Oder man nimmt einfach immer wieder ein Sieb, spült das Keimgut darin vorsichtig ab und gibt sie zurück ins Glas oder in eine Schüssel. Das mache ich auch, wenn ich mehrere Sorten auf einmal produziere und nicht so viele Siebgläser habe. Diese Variante empfehle ich eher für größeres Keimgut, kleine Saaten werden hier schnell schimmlig.

Ideal ist es, die Gläser  immer leicht schräg kopfüber aufzustellen, mit der Sieböffnung nach unten. Sprossengläser haben oft auch ein eigenes Gestell oder eine Vorrichtung am Deckel, damit sie stabil kopfüber stehen. Ich bin mit meinen MacGyver-Varianten aber auch immer ganz zufrieden gewesen. Man kann die Gläser auch einfach gegen eine Wand lehnen, wenn man kein eigenes Gestell hat. Wichtig ist, dass das Keimgut gut abtropft, es sollte niemals schwimmen. Außerdem sollte nicht zu viel Keimgut in einem zu engen Behältnis sein, denn dann verdirbt es leichter. Bei der Variante mit dem Sieb muss man besonders sorgfältig arbeiten, also besonders gut abtropfen lassen und eher nur in einer Schicht im Behältnis lagern, damit sich keine Flüssigkeit staut.

WELCHES SAATGUT verwende ICH ZUM SPROSSEN ZIEHEN?

ZUNÄCHST ZWEI FÜR MICH WICHTIGE GRUNDPRINZIPIEN:

  1.  nicht allzu altes – trockene Hülsenfrüchte & Co halten sich ewig, wenn sie allzu alt sind, könnte es sein, dass sie ihre Keimfähigkeit verloren haben
  2. zweitens unbedingt unbehandeltes Saatgut: Es lohnt sich wie so oft, Bio-Ware vorzuziehen, am besten solches, das auch als Keimgut verkauft wird. Konventionelle Pflanzensaaten keimen zwar gleich gut, sind aber oft mit Pflanzenschutzmitteln behandelt, die ich nicht essen möchte – schon gar nicht , wenn ich die Sprossen roh verzehre.

Welche Arten eignen sich zum Sprossen ziehen?

Es gibt unzählige Möglichkeiten, fast jede. Nachtschattengewächse sind zu meiden (giftig!), ansonsten scheint die Auswahl grenzenlos. Begonnen habe ich mit den typischen Sorten wie Alfalfa und Mungbohnen. Rasch habe ich aber herausgefunden, dass dieses kleine Wunder mit unglaublich vielen Rohstoffen funktioniert, viele davon günstig aus heimischer Bio-Landwirtschaft erhältlich.

  • Hülsenfrüchte: Bohnen (allein davon gibts ja unzählige Sorten!), Kichererbsen, die meisten Linsenarten
  • Saaten: Leinsaat, Kürbiskerne, Sonnenblumenkerne, ja, auch mit den ubiquitären Chiasamen funktioniert das, aber was ich von Chiasamen halte, steht hier.
  • Getreide: Weizen, Roggen, Dinkel
  • Kreuzblütler: Kresse, Senf,…
  • Fuchsschwanzgewächse: Amaranth, Quinoa,…

Noch immer habe ich bei weitem nicht alle Möglichkeiten ausprobiert. Gerade diese Vielfalt macht Sprossen ziehen so spannend, wunderbar und aufregend. Ein paar meiner Favoriten stelle ich euch hier exemplarisch vor:

Linsensprossen

Es gibt unzählige Linsen, aus den meisten könnt ihr Sprossen ziehen. Rote Linsen eignen sich nicht, denn die sind ja bereits geschält. Belugalinsen, die kleinen schwarzen, liebe ich gekocht, als Sprossen bleiben sie aber ziemlich hart und sind daher weniger zu empfehlen.

Sprossen aus Berglinsen

Linsensprossen kann man roh verzehren, ich esse sie jedoch fast nur gegart und verwende sie so wie normale Linsen: in lauwarmen Salaten, Gemüsepfannen oder als Suppeneinlage. Gegart sind sie auch besser verträglich.

BocKshornkleEsprossen

Bockshornklee ist in unserer Küche wenig verbreitet, höchstens als Bestandteil in Currygewürzen kennen ihn manche. Noch weniger bekannt ist, dass Bockshornklee zu den Hülsenfrüchten zählt. Ich mag die leichte bittere Note und die Tatsache, dass er meist nach 2 Tagen schon verzehrbereit ist. Wer’s eilig hat, der lässt am besten Bockshornklee keimen.

Bockshornklee-Sprossen

Mungbohnensprossen

Was oft fälschlicherweise als “Sojasprossen” bezeichnet wird, sind in vielen Fällen Mungbohnensprossen. Warum genau sich der falsche Name bei uns eingebürgert hat weiß ich nicht. Mittlerweile sind sie sehr beliebt und man bekommt sie in normalen Supermärkten. Konserven finde ich grauslich. Obwohl es sich um Hülsenfrüchte handelt, können Mungbohnensprossen ausnahmsweise roh verzehrt werden. Ich mag sie sehr. Ein Muss sind sie  etwa im thailändischen Rindfleischsalat. In Wokgerichten muss man aufpassen, da sie sehr viel Wasser lassen. Lieber kleine Mengen verwenden oder größere Pfannen/Woks.

Alfalfa-Sprossen

Ein weiterer Favorit, besonders im Winter, wenn frisches, knackiges Grün eher Mangelware ist. Alfalfa-Sprossen sind mein Liebling für Salate oder als Topping auf Broten. Aus einem Esslöffel der kleinen Samen wird eine ganze Hand voll Sprossen. Was für ein Wunder der Natur, was für eine Freude! Ich lasse sie meist so 6-7 Tage wachsen, damit sie schön lang werden.

 

Alfalfa-Sprossen nach 6 Tagen

SOJASPROSSEN

Nicht so weit verbreitet, wie Mungbohnen-Sprossen, aber auch möglich: Sojasprossen. Diese müssen aber unbedingt gegart werden vor dem Verzehr. Trockene, rohe Sojasprossen aus heimischem Anbau sind übrigens für Endverbraucher gar nicht so leicht zu bekommen! Ich habe nach längerer Suche für meine selbstgemachte Sojamilch beim Getreidehof bestellt und bin mit der Ware sehr zufrieden! In Bio-Läden kommt die Ware meist aus dem Nicht-EU-Ausland.

Quinoa, Amaranth und Buchweizen

Meine neuesten Entdeckungen sind Buchweizen und Quinoa. In Australien habe ich in diversen Hipster Läden Dinge wie “sprouted buckwheat granola” gelesen. Und tatsächlich wurde dafür einfach der Buchweizen über Nacht gekeimt, sodass er noch kornähnlich ist, aber eben mit kleinem Trieb. Selbstverständlich war “sprouted” dort vor allem der neueste Marketing-Claim, um alles damit zubereitete als superhealthy anzupreisen. Nach dem pawlowschen Augenrollen, das solche health claims bei mir auslösen, musste ich es aus Neugier natürlich trotzdem ausprobieren. Quinoa hat bei mi nicht ganz so gut funktioniert wie Buchweizen, mir sind jedenfalls nicht alle Körner gekeimt. Aber vielleicht lag das auch an Kornqualität. Diese Pseudogetreide verwende ich gekeimt nach ca. 2-3 Tagen ähnlich weiter wie ungekeimte, rohe Körner, also gekocht (kürzer, weil durch das Einweichen ja schon recht weich) in Salaten oder als Beilage. Nach mehreren Tagen entwickeln sich auch längere Keimlinge, aber dafür verwende ich lieber andere Sorten, etwa die oben genannten.

Sonnenblumenkernsprossen

Die liebe ich besonders im Salat, aber auch in Joghurt und Müsli! Sie sind knackig, frisch, leicht süßlich. Sonnenblumenkernsprossen esse ich ausschließlich roh. 

WIE GEHT SPROSSEN ZIEHEN?

ANLEITUNG:

  1. Das Keimgut in einem Sieb gut abspülen. Über Nacht oder mind. ein paar Stunden (je größer, desto länger) in kaltem Wasser einweichen.
  2. Die Saat muss immer feucht, aber nicht nass sein und jeden Tag gut gespült werden, damit kein Schimmel entsteht. Dazu füllt man reichlich kaltes Wasser ins Keimglas, spült die Saat gut durch und lässt dann das Wasser durch den Deckel abfließen.
  3. Dann stellt man es wie weiter oben beschrieben auf den Kopf. Wenn das Wasser weitgehend abgetropft ist, kann man das Gefäß auch richtig herum lagern.
  4. So spüle ich sie 2-3x pro Tag mit kaltem Wasser, bis sie das gewünschte Wachstum erreicht haben. Wenn sie schon fertig sind, aber ihr nicht gleich alles aufesst, könnt ihr sie im Kühlschrank wenige Tage aufbewahren.Die Kälte stoppt den Keimprozess. Ich empfehle aber den Frischverzehr.

Der geeignete Standort für’s Sprossen ziehen

Hygiene ist oberstes Gebot! Außerdem mögen Sprossen kein direktes Sonnenlicht und es sollte nicht zu warm sein. Bei mir hat es immer 20-24°C und das klappt gut.

Bockshornkleepsrossen

WANN SIND DIE SPROSSEN FERTIG?

Gute Frage, ich finde, das ist Geschmackssache. Grundsätzlich könnt ihr sie verwenden, wann ihr wollt. Probiert ruhig verschiedene Keimstufen aus, sie verändern sich in Textur und Geschmack! Außerdem keimen die Saaten unterschiedlich schnell, sogar innerhalb derselben Sprossenart kann es Unterschiede geben.

Kann man Sprossen roh essen?

Kommt auf die Sorte an! Bei Sprossen aus Hülsenfrüchten rate ich euch, sie zumindest kurz zu erhitzen. Hülsenfrüchte enthalten für Menschen giftige Pflanzenstoffe (sog. Lektine) und manchmal auch Blausäure. Daher soll man sie nicht roh essen und das gilt auch für den gekeimten Zustand. Erst das Erhitzen deaktiviert diese giftigen Stoffe. Man stirbt zwar nicht sofort am Rohverzehr, aber  in größeren Mengen können Lektine wirklich ungut werden, also lasst den Rohverzehr lieber bleiben. Das gilt besonders für Erbsen und diverse Bohnen, auch Fisolen. Achtung: Auch Bockshornklee zählt zu den Hülsenfrüchten! Ausnahmen sind Mungbohnen, Linsen und Alfalfa: Davon können Sprossen und Keimlinge auch roh gegessen werden, obwohl es sich um Hülsenfrüchte handelt.

Neben der Hülsenfrüchte-Regel gibt’s auch noch die Bakteriengefahr. Wenn ihr Sprossen kauft, würde ich diese unabhängig von der Sorte immer garen, wobei ich gänzlich auf gekaufte Sprossen verzichte. Ich bin fernab von einer Bakterien-Phobie wie sie viele in der heutigen Zeit haben, aber bei Sprossen bin selbst ich vorsichtig. Die Umgebung, in der Sprossen gedeihen ist warm und feucht. Das ist auch die Umgebung, in der Bakterien sich rasant vermehren, auch bei Bio-Ware, auch bei möglichst hygienischen Bedingungen. Wir erinnern uns an EHEC, nicht zufällig waren Sprossen letztendlich der folgenschwere Überträger.

 

Warum ich Gekaufte Sprossen meide

Nun gibt es mittlerweile auch viele fertige Sprossen im Supermarkt. Ich lasse aber lieber die Finger davon, aus folgenden Gründen:

  • Selber züchten macht mir Spaß.
  • Gekaufte Sprossen sind  verhältnismäßig extrem teuer, weil die Eigenproduktion wirklich günstig ist. Mit einer Packung Trockenware kommt man ewig aus, weil das Sprossen ziehen so ergiebig ist.
  • Eigenproduktion ist kaum Aufwand.
  • Ich bin echt schlecht, was garteln betrifft. Dass ich zumindest Sprossen erfolgreich züchten kann, ist jedes Mal aufs neue ein Riesenbonus für mein botanisches Selbstbewusstsein! Garten-n00bs, dieser Beitrag ist für euch!
  • Das Bakterienthema – siehe oben. Daheim bin ich selbst für hygienische Zustände verantwortlich und kann frischeste Ware genießen.

Der Unterschied zwischen Sprosse und Keimling

Streng genommen bezeichnen “Sprossen” nur die oberirdischen Teile einer Pflanze. Der Keimling ist das komplette  junge Pflänzchen, das frisch aus dem Samen kommt. Im allgemeinen Sprachgebrauch ist aber eher die Bezeichnung “Sprossen” geläufig.

Der Übergang vom Samen zur Pflanze

Es ist kein Hokuspokus, sondern logisch, dass ein Samenkorn, das vorhat eine Pflanze zu werden, besonders viele Nährstoffe in sich birgt. Mit dem Keimen verändert sich die Zusammensetzung des Saatguts. Faszinierend oder? Das ist der Grund, warum den Sprossen so ein hoher gesundheitlicher Wert anhaftet. Auch nicht unbedingt ein Nachteil, gerade im Winter. Ich finde es beeindruckend, dass nur durch Wasser und Licht dieses latente Kraftpaket im Samenkorn geweckt wird, egal zu welcher Jahreszeit und ganz ohne große Taten.

Kleine Freuden des Winteralltags

Jetzt seid ihr dran, habt ihr schon mit Sprossen experimentiert? Was sind Eure Favoriten? Wenn nein, probiert es, es ist wirklich großartig. Und berichtet mir dann, ob es Euch auch so viel Freude macht wie mir. Und der Frühling ist schon in Sicht meine Lieben, in ein paar Wochen geht’s an’s Bärlauch pflücken!

Back to Top